Kosovo: Land ohne Zukunft?
ARTE Reportage – Samstag, 19. März 2016
Länder: Albanien
Tags: Kosovo, IS-Kämpfer
Über 300 Kosovaren sollen als IS-Kämpfer nach Syrien gegangen sein – gemessen an den 1,8 Millionen Einwohnern ein trauriger europäischer Rekord…
Viele Kosovaren wollen weg aus ihrer Heimat, die wenigsten allerdings wählen die radikale Lösung – die meisten wollen vor der Misere in ihrer Heimat lieber in die EU flüchten. Doch dort bekommen sie kein Asyl, weil ihr Land nicht mehr auf der Liste für politische Verfolgung steht. Seit 2008 ist das Kosovo unabhängig, doch trotz aller Hilfen der EU, finanziell und personell, kommt das Land wirtschaftlich nicht auf die Beine. Natürlich hat die Finanzkrise die Lage nicht gerade erleichtert.
Armut und gut 30 Prozent Arbeitslosigkeit lösen vor allem in jungen Leuten das Fernweh aus – die radikalen Videos des IS locken seit Neuestem nicht mehr nur mit der Lust am Töten im Namen Allahs, sondern auch mit idyllischen Bildern von einer Art islamistischem Disneyland, in dem bewaffnete Männer in Uniform mit Kindern auf dem Arm, begleitet von ihrer Ehefrau in Burka plus Kinderwagen, in der Sonne spazieren gehen. Sie rufen auf zu einem gottesfürchtigen Leben nach ihrer eigenen perversen Art und Weise.
Unsere Reporter zeigen ein Land, dessen Menschen auf Europa hoffen, immer noch, dem aber die Dämonen der neuen Religionskriege und die wirtschaftliche Not immer härter zusetzen.
Von Vladimir Vasak, Aleksandra Ilic, Una Hadjari und Adrien Chable – ARTE GEIE – Frankreich 2016
Interview
Ein Land, ein Fehler…
Der Konflikt mit Serbien ist eine Art schwerer Geburtsfehler für die junge Nation Kosovo. Denn für die Serben ist das Kosovo noch immer ein Land, das nicht sein darf. Sie würden die dort lebende christlich-orthodoxe serbische Minderheit von gut 4 Prozent am liebsten samt Land heim in ihr Reich führen. Das führt natürlich immer wieder zu Spannungen mit den muslimischen Albanern, die mit 91 Prozent die Mehrheit der gut 1,8 Millionen Kosovaren stellen.
Die Europäische Union bemüht sich seit der Unabhängigkeit 2008 immer wieder mit Geld und guten Worten, Serben und Kosovo-Albaner miteinander zu versöhnen: 2011 unterzeichneten Serbien und Kosovo ein Abkommen zur Reisefreiheit zwischen beiden Ländern und erkannten gegenseitig ihre Schulabschlüsse und Diplome an. Das erlaubte wiederum Serbien, sich 2012 offiziell um die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu bewerben.
2015 verhandelten Kosovaren und Serben wieder unter der diplomatischen Führung der EU erfolgreich über die Gestaltung der Justiz im Land unter der Beteiligung beider Bevölkerungsgruppen, Serben und Albaner. Nicht allen ist das recht: Am 19. Februar 2016 lähmte die Opposition das Parlament in Pristina wieder einmal mit Tränengasattacken, um damit gegen die “Normalisierung” der Beziehungen zwischen beiden Ländern zu provozieren.
…und eine lange Geschichte.
Als Provinz Serbiens stand das Kosovo über 500 Jahre unter der Herrschaft des Osmanischen Reichs.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erhielt Serbien die Autonomie innerhalb des Osmanischen Reiches. Damals schon leben im Kosovo in der Mehrheit Albaner.
Im ersten Balkankrieg von 1912-1913 kämpften Serbien, Bulgarien, Griechenland und Montenegro gegen die Herrschaft des Osmanischen Reichs. Im Vertrag von London wurde das Kosovo schließlich Serbien zugesprochen.
1974 erklärte Marschall Tito, der Staatspräsident der Sozialistischen Volksrepublik Jugoslawien, das Kosovo zum autonomen Teil Serbiens. Nach seinem Tod 1980 verlangten die Nationalisten die Unabhängigkeit des Kosovo, um ihren eigenen Staat zu gründen.
1989 beendete Slobodan Milosevic als Präsident der neuen Sozialistischen Republik Serbien die Autonomie des Kosovo, denn für ihn war das Kosovo immer die Wiege der Kultur der Serben. Daraufhin gründeten die Kosovaren ihre eigene Befreiungsarmee, die sogenannte UCK. Der Konflikt um das Kosovo wurde zum Ausgangspunkt für den zweiten Krieg um das zerfallende Jugoslawien.
2008 wurde das Kosovo ein von Serbien unabhängiges Land. Die EU schickte die EULEX-Mission ins Land, um den Kosovaren zu helfen, ein eigenes Justizsystem aufzubauen.
Christophe Huber und Uwe Lothar Müller